Ray Charles - Ein halbes Jahrhundert Musikgeschichte
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Renald Richard. Während die Komposition auf den üblichen Spielereien von Jazz und Rhythm&Blues basiert, beruhte der Gesang auf einem Gospelstück, das Ray Charles im Radio hörte. Ohne es zu diesem Zeitpunkt zu ahnen, hatte er mit dieser Mischung den "Soul" erschaffen. Beides (Gospelgesang und R&B) wurden bis dahin strikt getrennt. Der Begriff "Soul music" wurde zwar noch bis zu Beginn der 60er Jahre selten genutzt, aber die Geburt dieses Musikgenres geht ganz klar auf diesen Song zurück.
Ein Jahr später nahm Ray Charles den Song "Drown in my own tears" auf. Der Song stammte von dem Komponisten Henry Glover und wurde 1951 das erste Mal von der Sängerin Lula Reed gesungen. Aber erst durch die Performance von Ray Charles erlangte das Stück weltweite Bekanntheit und ist bis heute unzählige Male gecovert worden. Der Song war einer der ersten, bei dem es zusätzlichen Backgroundgesang gab, was Ray dazu inspirierte, eine eigene Backgroundgruppe, The Raelettes, zu formen. Normalerweise hatten Plattenfirmen spezielle Gastsänger/innen für diesen Job. Aber Ray nutzte nur noch die Raelettes für seine Plattenaufnahmen, was dem Sound seiner Songs einen hohen Wiedererkennungswert verlieh. Ray Charles war also nicht nur für die Erschaffung neuer Musikrichtungen verantwortlich, sondern auch für Innovationen innerhalb der Studioarbeit.
Die Leadsängerin der Raelettes, Margie Hendricks, unterstützte Ray dann auch bei seinem '58er Hit "Night time (is the right time)". Aufnahmen des Songs existierten schon seit den 30ern, aber erst durch Ray Charles wurde das Stück einem größeren Publikum bekannt. Nach dieser Veröffentlichung wurde der Song von Musikergrößen wie den Rolling Stones, Tina Turner, James Brown oder auch Aretha Franklin gecovert. Leider war die Zusammenarbeit zwischen Ray Charles und Atlantic Records zu diesem Zeitpunkt schon dem Ende nahe. 1960 unterschrieb er einen lukrativeren Vertrag bei ABC Records. Dort hatte Ray Charles dann auch seine größten Erfolge und konnte sich, im Zuge der Gleichstellung von Weißen und Schwarzen, der ganzen Welt präsentieren. Die Aufhebung der Rassentrennung im Radio und in den Plattenläden führte zu noch größeren Verkäufen von Charles' Alben. Hinzu kamen seine wohl bekanntesten Hits "Hit the road, Jack" und "Unchain my heart" im Jahre 1961. Letzteres Stück wurde von Bobby Sharp geschrieben. Sharp war zu dieser Zeit drogenabhängig und verkaufte die Songrechte für $50 an Teddy Powell. 26 Jahre später, als Joe Cocker die wohl erfolgreichste Version des Songs aufnahm, konnte Sharp nach einem langen Rechtsstreit den Song wieder sein Eigen nennen.
Nach inzwischen zehn erfolgreichen Jahren erlebte Ray Charles auch die negativen Seiten einer Musikerkarriere. Seine Heroinabhängigkeit verschlimmerte sich und Charles musste deswegen mehrfach ins Gefängnis. Einem längeren Gefängnisaufenthalt entging er, als er sich zu einer erfolgreichen Kliniktherapie bereit erklärte. Bis 1973 veröffentlichte er, trotz der privaten Probleme, regelmäßig
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erfolgreiche Alben, bevor er das Label verließ. Die zweite Hälfte der 70er verbrachte Ray Charles hauptsächlich mit ausgewählten Konzerten und Auftritten in Fernsehshows und Kinofilmen (unvergessen sein toller Auftritt 1980 in dem Kinohit "Blues Brothers"). In den 80ern suchte Ray Charles noch einmal die musikalische Herausforderung und unterschrieb einen Plattenvertrag bei Columbia Records, wo er mehrere Countryalben veröffentlichte. "Friendship" schaffte 1984 sogar Platz 1 der amerikanischen Countrycharts. Diese ganzen Erfolge wurden aber von einem noch wichtigeren Ereignis in den Schatten gestellt. Der Bundesstaat Georgia ernannte Charles' Version von "Georgia on my mind" zur offiziellen Staatshymne. Zusammen mit einem passenden Video wurde dieser Song nachts, wenn das Fernsehprogramm von Georgia beendet war, gesendet. Mit der Umstellung auf das 24-Stunden-Programm in ganz Amerika ging diese Tradition leider verloren.
Im Alter von 60 Jahren denken die meisten Menschen an das bevorstehende Ende ihrer beruflichen Laufbahn - nicht so Ray Charles. Er unterschrieb erneut einen Plattenvertrag, dieses Mal bei Warner Records und veröffentlichte weitere Studioalben u.a. mit aktuell bekannten Gastmusikern. Ray Charles spielte noch bis 2003 live auf Konzerten und ausgewählten Veranstaltungen, bevor er am 10. Juni 2004 im Alter von 73 an einem Krebsleiden verstarb. Letzte Aufnahmen, die er vor seinem Tode gemacht hatte, wurde in den nächsten zwei Jahren noch auf mehreren Alben veröffentlicht. Damit betrug die Zeitspanne seiner Studioaufnahmen über 50 Jahre.
Ray Charles gewann unzählige Musikpreise, u.a. 17 Grammys. Er gehörte 1986 zu den zehn Musikern, die als allererstes in die damals frisch gegründete "Rock & Roll Hall of Fame" aufgenommen wurden (u.a. neben Elvis Presley und Chuck Berry). 1981 bekam er einen Stern auf dem "Hollywood Walk of Fame". Das amerikanische Musikmagazin "Rolling Stone" führte ihn 2004 in ihrer Liste der 100 besten Künstler aller Zeiten auf Platz 10. Im gleichen Jahr gab es eine Kinoverfilmung seines Lebens, die dem Hauptdarsteller Jamie Foxx einen Oscar einbrachte. Ray Charles persönlich wählte Foxx für die Rolle aus, nachdem er ihn zwei Stunden lang in einem Piano-Duell testete. Charles sollte den Film vor seiner Veröffentlichung exklusiv vorgeführt bekommen, verstarb aber vor dessen Fertigstellung.
Ray Charles war zweimal verheiratet, hinterließ der Welt 12 Kinder und ein großes musikalisches Erbe.
Pascal Wrage
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