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Alles Theater 13/19
April 2016
Stella
Sie kauften das Rittergut; niemand kannte sie; man hieß sie den gnädigen Herrn und die gnädige Frau, und hielt ihn für einen Offizier, der in fremden Kriegsdiensten reich geworden war und sich nun zur Ruhe setzen wollte. Sie war damals blutjung, nicht älter als sechzehn Jahr, und schön wie ein Engel.
Lucie: Da wär sie jetzt nicht über vierundzwanzig?
Postmeisterin: Sie hat für ihr Alter Betrübnis genug erfahren. Sie hatte ein Kind; es starb ihr bald; im Garten ist sein Grab, nur von Rasen, und seit der Herr weg ist, hat sie eine Einsiedelei dabei angelegt und ihr Grab dazu bestellen lassen. Mein Mann seliger war bei Jahren und nicht leicht zu rühren; aber er erzählte nichts lieber als von der Glückseligkeit der beiden Leute, solang sie hier zusammen lebten. Man war ein ganz anderer Mensch, sagte er, nur zuzusehn, wie sie sich liebten.
Madame Sommer: Mein Herz bewegt sich nach ihr.
Während die Mädchen Stella besuchen, kommt im Posthaus ein weiterer Gast an: Fernando.
Durch ein Selbstgespräch wird der Grund seines Besuchs vermittelt:
Fernando, ans Fenster tretend:
So seh ich dich wieder? Himmlischer Anblick! So seh ich dich wieder? Den Schauplatz all meiner Glückseligkeit! Wie still das ganze Haus ist! Kein Fenster offen! Die Galerie wie öde, auf der wir so oft zusammen saßen! Merk dir's, Fernando, das klösterliche Ansehn ihrer Wohnung, wie schmeichelt es deinen Hoffnungen! Und sollte, in ihrer Einsamkeit, Fernando ihr Gedanke, ihre Beschäftigung sein? Und hat er's um sie verdient? O! mir ist, als wenn ich nach einem langen, kalten, freudelosen Todesschlaf ins Leben wieder erwachte; so neu, so bedeutend ist mir alles. ...
Und sie? Sie wird sein, wie sie war. Ja, Stella, du hast dich nicht verändert; das sagt mir mein Herz. Wie's dir entgegenschlägt! Aber ich will nicht, ich darf nicht! Ich muß mich erst erholen, muß mich erst überzeugen, daß ich wirklich hier bin, daß mich kein Traum täuscht, der mich so oft schlafend und wachend aus den fernsten Gegenden hierher geführt hat. Stella! Stella! Ich komme! fühlst du nicht meine Näherung? in deinen Armen alles zu vergessen! – Und wenn du um mich schwebst, teurer Schatten meines unglücklichen Weibes, vergib mir, verlaß mich! Du bist dahin; so laß mich dich vergessen, in den Armen des Engels alles vergessen, meine Schicksale, allen Verlust, meine Schmerzen, und meine Reue – Ich bin ihr so nah und so ferne – Und in einem Augenblick – Ich kann nicht, ich kann nicht! Ich muß mich erholen, oder ich ersticke zu ihren Füßen.
Bei Tisch kommt es zu einer ersten Begegnung zwischen Fernando und Lucie, die sich auf Anhieb sympathisch sind. Lucie erzählt ihm, wie sehr ihre Mutter noch unter dem Verlust ihres Mannes leidet:
Lucie: Leider ist sie, die verliert, nicht ich. Ich dank's meinem Vater, daß er mich auf die Welt gesetzt hat, denn ich lebe gern und vergnügt; aber sie – die alle Hoffnung
des Lebens auf ihn gesetzt, ihm den Flor ihrer Jugend aufgeopfert hatte, und nun verlassen, auf einmal verlassen – – Das muß was Entsetzliches sein, sich verlassen zu fühlen! – Ich habe noch nichts verloren; ich kann nichts davon reden. – Sie scheinen nachdenkend!
Fernando: Ja, meine Liebe, wer lebt, verliert;
aufstehend
aber er gewinnt auch. Und so erhalt Ihnen Gott Ihren Mut!
Zweiter Akt
Lucie und ihre Mutter besuchen Stella. Madame Sommer und Stella begegnen sich sofort mit großer Sympathie, teilen sie doch das Schicksal einer verlassenen Frau.
Madame Sommer: Männer! Männer!
Stella: Sie machen uns glücklich und elend! Mit welchen Ahndungen von Seligkeit erfüllen sie unser Herz! Welche neue, unbekannte Gefühle und Hoffnungen schwellen unsere Seele, wenn ihre stürmende Leidenschaft sich jeder unserer Nerven mitteilt. Wie oft hat alles an mir gezittert und geklungen, wenn er in unbändigen Tränen die Leiden einer Welt an meinem Busen hinströmte! Ich bat ihn um Gottes willen, sich zu schonen! – mich! – Vergebens – Bis ins innerste Mark fachte er mir die Flammen, die ihn durchwühlten. Und so ward das Mädchen vom Kopf bis zu den Sohlen ganz Herz, ganz Gefühl. Und wo ist denn nun der Himmelsstrich für dies Geschöpf, um drin zu atmen, um Nahrung drunter zu finden?
Madame Sommer: Wir glauben den Männern! In den Augenblicken der Leidenschaft betrügen sie sich selbst – warum sollten wir nicht betrogen werden?
Stella: Madame! Da fährt mir ein Gedanke durch den Kopf – Wir wollen einander das sein, was sie uns hätten werden sollen! Wir wollen zusammen bleiben! – Ihre Hand! – Von diesem Augenblick an laß ich Sie nicht!
...
Madame Sommer: Wenden Sie Ihre Gedanken von den traurigen Szenen.
Stella: Nein! Wohl, sehr wohl ist mir's, daß mein Herz sich wieder öffnen, daß ich das alles losschwätzen kann, was mich so drängt! – Ja, wenn ich euch einmal anfange, von ihm zu erzählen, der mir alles war! – der – Ihr sollt sein Porträt sehn! – sein Porträt – O, mich dünkt immer, die Gestalt des Menschen ist der beste Text zu allem, was sich über ihn empfinden und sagen läßt.
Lucie glaubt, auf dem Porträt den Gast im Posthaus zu erkennen und Stella schickt aufgeregt ihren Bediensteten los, um sich davon zu überzeugen, ob dem so ist und ihn sofort zu ihr zu bringen, wenn es so sei. Sie zieht sich in ihr Zimmer zurück. Lucie bemerkt, dass ihre Mutter Cäcilie ganz blass geworden ist und erfährt, dass der Mann auf Stellas Porträt ihr abtrünniger Ehemann und Lucies Vater ist. Cacilie beschließt, sofort wieder abzureisen.
Dritter Akt
Fernando trifft Stella, beide begrüßen sich leidenschaft-
lich:
Fernando: Stella! meine Stella!
 
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