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Gesellschaft & Medien 9/12
März 2005
Schwarze Pädagogik Teil 2
So lernt das Kind, gesunde Grenzen zu entwickeln - und diese auch bei seinen Mitmenschen zu respektieren.
Erhält ein Mensch diese bedingungslose Liebe in seiner Kindheit NICHT, so wird er sich sein ganzes Leben lang danach sehnen, denn die Versorgung mit dieser Liebe ist in unseren entwickungstechnischen Grundmustern fest verankert. Wir brauchen diese Liebe, um uns zu eigenständigen, verantwortungsvollen Wesen entwickeln zu können, die in ihrem Erwachsenendasein dann auch in der Lage sein werden, diese bedingungslose Liebe an ihre Kinder weiterzugeben.
Ein Mensch, der gelernt hat, dass seine eigenen Bedürfnisse "schlecht" sind und es selbst dieser bedingungslosen Liebe "nicht würdig", wird später nicht in der Lage sein, eine ausgewogene Partnerschaft zu führen. Instinktiv wird er von seinem Partner die "bedingungslose Liebe" verlangen, und an der Umsetzung dieses Bedürfnisses in der Regel scheitern, denn diese Art der Liebe kann nur zwischen Kindern und ihren Eltern Bestand haben.
Foto: Corinna Kahl
Besonders fatal wird es, wenn dieser Mensch sein Bedürfnis nach bedingungsloser Liebe an seinen eigenen Kindern auslebt - wenn er von seinen Kindern erwartet, um jeden Preis geliebt zu werden, egal wie er/sie sich verhält, und ob er/sie seinen/ihren Verpflichtungen den Kindern gegenüber nachkommt.
Ein besonders perfides Beispiel für dieses Verhalten findet sich in Alice Millers "Das Drama des begabten Kindes" (siehe weiterführende Literatur), das hier in gekürzter Form wiedergegeben wird:
Ein 10-jähriges Mädchen kommt von der Schule nach Hause und findet seine Mutter reglos auf dem Küchenfußboden liegend. Das Kind ist geschockt, fängt an zu weinen und zu schreien, schüttelt den leblosen Körper der Mutter. Als es zum Telefon greift und den Notruf wählen möchte, erhebt sich die Mutter und nimmt das Kind in die Arme: "Ich wollte nur mal sehen, ob du mich auch wirklich liebst!".
Natürlich kann die Mutter (die selbst niemals bedingungslose Liebe hat erfahren dürfen) nicht glauben, um ihrer selbst Willen von ihrer Tochter geliebt zu werden. Aber welch ein Bild der Liebe wird dem Kinde hier vermittelt! Das Kind erfährt die Mutter einerseits als "Übergott" mit der Macht, alle seine Regungen zu kontrollieren - und gleichzeitig als äußerst labiles, von ihm abhängiges Wesen. Die Unvereinbarkeit dieser beiden Ausprägungen des mütterlichen Charakters werden in dem Kind schwere innere Konflikte hervorrufen, da es nicht in der Lage ist, beide Seiten angemessen zu erfüllen. Die Folge sind auch hier schwere Schuldgefühle und die Gewissheit, den "Anforderungen" der Mutter nicht zu entsprechen.
Natürlich sind körperliche Unterdrückung von Schlägen bis hin zu sexuellen Übergriffen ein wichtiger Aspekt bei der Durchsetzung schwarzer Pädagogik, die einerseits den blinden Gehorsam des Kindes entwickeln und andererseits dazu führen, dass das Kind seine eigenen Empfindungen verdrängen und leugnen lernt. Nicht zu vergessen sind jedoch die vielen kleinen seelischen Vergewaltigungen, die ein Kind im Laufe seiner ersten Lebensjahre erfährt - und die es bis in sein Erwachsenenleben hinein zumeist "erfolgreich" verdrängt. Verdrängt deshalb, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Weil die Wahrheit viel zu schrecklich ist, als dass man ihr ins Auge blicken dürfte. Zumindest für ein Kind ist es nicht zu ertragen, wenn die Person, von dem es körperlich und seelisch abhängig ist, es grundlos unterdrückt und verletzt. Naturgemäß wird das Kind, welches die Eltern als perfekte Übergötter zu begreifen gelernt hat, die "Verfehlung" und damit auch die Schuld auf seiner eigenen Seite suchen. Bis es erwachsen ist (und damit "groß genug", die Wahrheit hinter den Verhaltensweisen seiner Eltern zu begreifen und zu verarbeiten), hat es längst verdrängt, was ihm angetan worden ist. Das Unterbewusstsein ist ein Meister der Verleugnung von unangenehmen Tatsachen. Was zurückbleibt, ist meist das bereinigte Bild einer glücklichen Kindheit, die niemals rechtfertigt, dass das heute erwachsene Kind unter Bindungsunfähigkeit und Verantwortungslosigkeit leidet - und damit unfähig ist, eigene Kinder gesund zu erziehen.
Wie eine Analytikerin es einmal formulierte: Wer Kinder gesund erziehen möchte, der muss bereit sein, in die zweite Reihe zurück zu treten und die Bühne den Kindern zu überlassen.
 
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