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Gesellschaft & Medien 4/9
Januar 2007
Wenn Gesetze Salto schlagen
Es zeigt sich immer wieder: Das Leben selbst schreibt die spannendsten und ungewöhnlichsten Geschichten. Und - wenn man es gewähren lässt, kann auch gut und gerne ein Happy End mit im Spiel sein.
Wenn da nur nicht manchmal die Bürokratie wäre. Die Instanzen können sich mit ihren Gesetzen von Recht und Ordnung ziemlich umständlich und verwinkelt zeigen, auch teilweise veraltet. In puncto fortschreitender Globalisierung inzwischen überholungsbedürftig. Immer noch kann es passieren, dass ein natürlicher Lebensablauf sich fast in einer Sackgasse wiederfindet, wie bei der "bürokratischen Reise" von Stephen und Susanne.
Stephens Mutter kommt von Barbados, der Vater ist Deutscher. Da die beiden verheiratet waren, hatte Stephen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Mutter behielt ihren Pass von Barbados. Bisher nichts Ungewöhnliches, Multikulti-Familien gehören ja zum Glück mit in unser nationales bzw. internationales Weltgeschehen. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass die Ehe der Eltern kein festes Fundament hatte und sie sich scheiden ließen.
Stephen ist inzwischen 25 Jahre alt und Student. Als seine Mutter vor einiger Zeit das Bedürfnis hatte, ihre alte Heimat Barbados wieder zu besuchen, nahm sie Stephen mit, um auch ihm das Land seiner Vorfahren mit allen Wurzeln zu zeigen. Dort in einer Bar mit Live-Musik und Raggea vom Feinsten, fiel Stephen ein Gitarrist und Sänger auf. Er war gebannt von seinem Gesicht und hatte das Gefühl, in sein Spiegelbild zu sehen. Es dauerte nicht lange und seine Mutter und Carlton, so hieß der Musiker, erkannten sich. Beide waren als Teenager ein Paar und konnten sich gut an ihre gemeinsame Zeit erinnern. Dass Stephen und Carlton ähnlich aussahen, war nicht zu verbergen und zaghaft forschten sie, ob er nicht doch der leibliche Vater von Stephen sein könnte. Sie rechneten nach und es war nicht auszuschließen. Sie beschlossen, einen Vaterschaftstest zu machen, der positiv ausfiel. Eine neue Familie war geboren, fantastisch! Alle drei waren begeistert und Stephen wusste endlich, woher sein musikalisches Talent stammte.
Von jetzt an nahm die "bürokratische Reise" ihren Lauf. Carlton folgte seiner wiedergefundenen Liebe und seinem "frischgebackenen" Sohn nach Deutschland. Hier, bei den deutschen Behörden bekannte er neben der Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung auch freudestrahlend die Vaterschaft von Stephen. Die Bürokratie schlief nicht und stellte blitzschnell fest: in dieser Konstellation stimmt etwas nicht. Denn das deutsche Staatsbürgerrecht richtet sich nach dem Abstammungsprinzip, was soviel heißt, dass deutscher Staatsbürger ist, wer deutsche Eltern bzw. eine deutsche Mutter oder einen deutschen Vater hat. Diese Voraussetzung war nicht mehr gegeben. Durch einen Brief der Behörde wurde dem ahnungslosen Stephen klargemacht, dass er unter falschen Bedingungen die
deutsche Staatsbürgerschaft nach seiner Geburt erhalten hatte und jetzt seinen deutschen Pass abgeben muss. Hinzu kam noch, dass auf Barbados andere Rechte gelten und nur derjenige, der im Land geboren ist, auch die Staatsbürgerschaft erhält.
Es ist unglaublich: Stephen, der über 20 Jahre in Deutschland lebt, war plötzlich aus allen Staaten gefallen und heimatlos geworden. Ein sehr unheimliches Gefühl und eine große Enttäuschung. Theoretische Gesetzgebung stellt sich hier eindeutig über das praktische Leben. Ob Gesetzgeber auch daran gedacht haben, wie sich Betroffene dabei fühlen?
Einbürgerungsurkunde / Foto: Wikipedia
Als "erste Bürgerpflicht" musste Stephen seinen deutschen Pass abgeben. Wehren war zwecklos, er hätte sich strafbar gemacht. Jetzt muss er einen Einbürgerungsantrag auf deutsche Staatsbürgerschaft stellen und bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Ein polizeiliches Führungszeugnis muss erbracht werden und eine Bescheinigung aus Barbados, dass er keine dortige Staatsbürgerschaft besitzt, was diverse Behördengänge erfordert und ziemlich zeitaufwendig ist. Bedingung ist auch, dass er ein dem Staat ausreichendes Einkommen vorweisen muss, was natürlich während des Studiums nicht gegeben ist und die ganze Situation noch komplizierter macht.
Inzwischen wurde ein Rechtsanwalt eingeschaltet, der versucht, eine Sonderregelung zu bewirken, um die Kosten und die Dauer der Einbürgerung in verkraftbaren Grenzen zu halten. Als Übergangslösung wurde ihm ein befristeter Reisepass ausgestellt.
 
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