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Kunterbuntes 2/4
November 2009
Michael Jackson - eine Legende lebt
Mein Interesse war mehr als geweckt, ich besorgte mir Musik- und Videomaterial, und, weil ich ein gründlicher Mensch bin, wenn mich jemand fasziniert, nicht nur Michaels Autobiografie, sondern auch noch die seiner Schwester La Toya.
© Nina Wiatrowski
Ich konnte kaum glauben, was ich da las. Während andere Kinder draußen spielten, wurde tagtäglich im kleinen Holzhaus der Familie Jackson das Wohnzimmer freigeräumt und die fünf Jungen probten unter der Anleitung des strengen und ständig prügelnden Vaters bis in die Nacht. Sicher wären die "Jackson Five" ohne Joe Jackson nicht das geworden, was sie wurden, aber ohne diesen Vater würde Michael vielleicht heute noch leben. La Toya sprach aus, was Michael sich nicht traute.
Ihr Buch war eine einzige Abrechnung mit dem verhassten Vater und seinen sadistischen Neigungen. Sie erzählte, wie er nachts seine Söhne in den wenigen Schlafstunden mit angsteinflößenden Grimassen am Fenster erschreckte und welche widerwärtige Freude er hatte, wenn er seinen Söhnen im Schlaf Streichhölzer zwischen den Zehen ansteckte und sie schreiend vor Schmerz aufwachten. Sie beschrieb, wie sich Joes Gesicht im Zorn in eine teuflische Fratze verwandelte.
Michael selbst hat geschrieben, dass er sich selbst als Erwachsener vor Angst und Ekel noch übergeben musste, wenn sein Vater ihn sprechen wollte. Und ein Angestellter berichtete jetzt, Michael habe bis in die heutige Zeit jedes Mal geweint, wenn sein Vater zu Besuch gewesen war. Was hat dieser Mann aus ihm gemacht?
Als Michael in die Pubertät kam, plagte ihn eine furchtbare Akne. Die Hänseleien der Brüder, die ihn "Buckelpiste" nannten, hätte er vielleicht noch verkraftet, aber sein Vater ließ keinen Tag aus, ohne ihm zu sagen,
wie hässlich seine Pickel und seine große Nase seien.
Er wusch sich nur noch im Dunkeln, weil er sein Spiegelbild nicht ertragen konnte. Dies war die Zeit, in der Michael Jackson sein Selbstbewusstsein verlor - und er fand es Zeit seines Lebens nicht mehr wieder. Bezeichnender Weise umgab er sich später gerne mit Jungen, die genau in dem Alter waren, in dem er sich verlor, als suchte er in ihnen seine Identität. Mit Erwachsenen hatte er ein großes Problem. Er sagte einmal, er könne vor 100000 Menschen ein Konzert geben, aber kämen ihm auf der Strasse zwei Leute entgegen, wäre das echt hart für ihn. Auf der Bühne fühlte er sich sicher vor den Menschen - und vor Joseph...
Durch die enge Freundschaft zu einer Handvoll Erwachsenen schaffte es Michael trotzdem, eine so gigantische Karriere hinzulegen. Da waren die Motown Chefs, Berry Gordy und Quincy Jones, Diana Ross, bei der er sogar einige Zeit wohnte, Liz Taylor, Katharine Hepburn und nicht zuletzt seine geliebte Mutter, der es allerdings nicht möglich war, ihre Söhne vor dem Drill des Vaters zu schützen.
Die wichtigsten Menschen in Michaels Leben blieben allerdings die Kinder, weil sie "ehrlich sind und nicht lügen". Dass er als Mann, der mit Frauen scheinbar nichts anzufangen wusste und gleichzeitig betonte, nicht homosexuell zu sein, irgendwann ins Zwielicht kam mit seiner Kinderliebe, konnte nicht ausbleiben. Was an den Beschuldigungen wahr ist und wofür so horrende Summen an Eltern bezahlt wurden, hat er nun wohl für immer mit ins Grab genommen.
Natürlich wollte ich als Jackson-Fan einmal ein Livekonzert miterleben. 1997 bot sich die Gelegenheit und ich fuhr mit Mann und Teeniesohn nach München. Es war ein Spektakel der Superlative im Olympiastadion. Das Stadion war gerammelt voll mit 60000 Fans trotz Regen bis zum Konzertauftakt. 600000 Watt schienen die Steine, auf denen wir standen, zum Erschüttern zu bringen - und wer, wie mein Mann, das Pech hatte, bei den ersten Bassklängen zufällig in einem der blechernen Toilettenhäuschen zu stehen, die sich zu Hunderten oberhalb der Zuschauerreihen befanden, brauchte wohl eine Weile, um seinen Puls wieder runterzufahren.
Die Akustik war bombastisch, die Bühnenshow atemberaubend, die Tanzeinlagen absolut perfekt - nur Michaels Stimme war leider nicht live.
Da ich zuhause tausende Male die Songs gespielt hatte, kannte ich jede noch so kleine Klangfärbung. Live hätten sich durch die wilden Tanzeinlagen unwillkürlich Abweichungen von den Studioaufnahmen ergeben, aber darauf wartete ich vergebens. Michael bemühte sich mit seinem Headset einen Liveeindruck abzugeben, aber ich hatte ihn nach den ersten Songs durchschaut und fühlte mich ein wenig betrogen. So, wie ich sie hörte, hatte ich die Songs zuhause.
Trotzdem war es ein tolles Erlebnis - bis hin zum letzten "Earth-Song", als ein Panzer auf die Bühne rollte und mit Maschinengewehren bewaffnete Männer heraus sprangen.
Unterstützt von einer Schar Kindern rettete Michael Jackson den Weltfrieden und verteilte Sonnenblumen an die reumütig niederknienden Angreifer.
 
Online-Magazin Im Endeffekt Ausgabe 19 · © 2003 - 2009 danielwelt.de · Impressum · Printausgabe