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Gesellschaft & Medien 6/6
Juli 2005
Schwarze Pädagogik Teil 3
abgeschlossen und eine bedeutende Magisterarbeit abgeliefert hatte und immer davon träumte, zu schreiben, verdient seine Brötchen mit dem Vermarkten von Autoren. Er macht eine Menge Geld damit, lässt seine Kontakte spielen, kümmert sich um gute Abschlüsse. Den Mut, sich einfach hinzusetzen und sein eigenes Buch zu schreiben, hat er nicht. Viele angehende Studenten besonders der musischen Fächer entscheiden sich für ein Lehramtsstudium statt des Magisters, damit sie später finanziell abgesichert sind. Kaum einer trägt im Hauptstudium noch die Hoffnung in sich, einmal allein von seiner Kunst und Kreativität leben zu können. Wie auch – diesen Glauben bestätigt keiner.
Kennzeichnend für unsere Gesellschaftsform ist also zusammenfassend gesagt ein Dualismus von schwarz und weiß. Wir empfinden Dinge entweder als „gut“ oder als „schlecht“. Die Farbtöne dazwischen scheinen nicht existent zu sein. Woraus sich ergibt, dass wir das, was anders ist als das, was wir als „gut“ bzw. „weiß“ schätzen zu lernen, mit allen Mitteln bekämpfen müssen, weil es uns Angst macht. Natürlich würden wir dies niemals zugeben! Und eben weil wir uns von so vielen inneren Gefühlen abgetrennt haben, können wir heute nur noch wenig mit Begriffen wie „Intuition“ oder „innerer Verbundenheit“ anfangen, die sich ja nicht rational begreifen oder erklären lassen. Der Verstand regiert das Gefühl, denn alles andere würde die völlige Abkehr von dem, was uns am Leben erhält, bedeuten.
Durchaus umstrittene Theorien besagen, dass diese Ansichten nicht immer das gesellschaftliche Miteinander der Menschen bestimmten. Diese Theorien benennen die letzten zweitausend Jahre der menschlichen Entwicklung als „patriarchal“, d.h. als durch „männliche“ Elemente kontrolliert. Ausgehend von der These, dass der Ursprung menschlichen Miteinanders in einer „weiblichen“ Form vonstatten ging, in der dem Miteinander, der Gleichheit und der Fürsorge mehr Rechnung getragen wurde und in der die soziale (also gesellschaftliche) Verantwortung mehr im Vordergrund stand, beschreiben diese Theorien einen Wandel zu dem Zeitpunkt, als die Männer erkannten, dass sie sehr wohl eine Rolle im Zeugungsprozess der Kinder spielten.
Dies geschah zeitgleich mit dem Übergang von umherwandernden Völkern hin zu sesshaften Ackerbauern, die ihren Besitz gegenüber ihrem Nächsten verteidigen mussten. Dieser Wandel setzte die Stärkung der „männlichen“ Elemente wie rationales Denken, Konkurrenzverhalten und hierarchisches Denken voraus, um in den neuen Strukturen bestehen zu können. Zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte wurde dies verknüpft mit der Vorherrschaft männlich-körperlicher Überlegenheit über geistig-emotionalen (also eher weiblichen) Empfindungen. (In den Literaturhinweisen wird auf lesbare Bücher zu dieser Thematik hingewiesen für alle, die sich mit diesen Theorien näher beschäftigen möchten.)
Wie beim chinesischen Yin und Yang, die sich beide gegenseitig bedingen, kann eine gesunde Gesellschaft jedoch nur bestehen, wenn sie sowohl die weiblichen als auch die männlichen Prinzipien in sich vereint. Wir brauchen sowohl die männlich-rationalen Gedankengänge als auch die weiblich-intuitiven, um nicht nur die Weiterentwicklung jedes Einzelnen in unserer Gemeinschaft, sondern auch das Fortkommen der Menschheit im Allgemeinen positiv zu gestalten.
Foto: Corinna Kahl
Nur, wenn das Zulassen von inneren Ängsten, Wünschen und Gefühlen genauso normal empfunden wird wie das rationale Abwägen von Für und Wider, nur wenn sich die Ratio mit dem emotionalen Empfinden abspricht, hat die Gesellschaft eine Chance, sich hinzuentwickeln zu einem Zustand, der dem einzelnen Individuum die Möglichkeit gibt, seine ureigene Bestimmung zu finden. Und die Gesellschaft, die sich nicht mehr mit Schattenprojektionen oder aus fehlgeleiteten Gefühlen entstandenen Ablehnungs-haltungen zufrieden geben muss, kann endlich gesunden und die Künste, Fähigkeiten oder auch die Kreativität anerkennen, die vielleicht nicht allen seinen Angehörigen gegeben wurde, die aber doch zur Entfaltung und zum Nutzen aller verwendet werden können.
Corinna Kahl
Fotos: Corinna Kahl
 
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