Little Smile
Fortsetzung von Seite 1
einen Ausbildungsplatz nicht einmal eine Antwort bekommt. Ich verstehe
sehr gut, dass sich viele Menschen in Deutschland Sorgen machen.
Ich finde es schlimm, wie Unternehmen mit ihren Arbeitern und Angestellten
umgehen, wie offensichtlich nur noch der Profit und der schnelle
Gewinn zählen. Es stimmt schon, in unserer Gesellschaft ist vieles
krank, Konsum alleine kann nicht glücklich machen, aber ich finde
auch, gerade die jungen Menschen trauen sich selber zu wenig zu,
arbeiten nicht hart genug an sich selbst. Man muss einfach anfangen,
was zu tun und dann nicht mehr aufhören immer weiter zu gehen.
Zurück zu Ihrer Frage: Ich fühle mich in meiner alten Heimat Deutschland
oft fremd, aber für mich war schon vorher Konsum kein Wert für sich.
2) Unter den Kindern, die im LITTLE SMILE KOSLANDA leben, sind doppelt
so viele Mädchen wie Jungen. Zufall - oder werden Mädchen öfter
verstoßen oder abgegeben?
Mädchen und Frauen zählen im Wertesystem
der Gesellschaft hier deutlich weniger. Mädchen müssen "an den Ehemann
gebracht werden" das heißt, sie müssen mit einer Mitgift ausgestattet
werden. Ein Mädchen ist also eine grosse Belastung, gerade für arme
Familien. Bei jeder Hochzeit verschuldet sich die Familie der Braut,
bei mehreren Töchtern droht auch "normalen" Familien auf dem Land
so nicht selten der Ruin. Da die Mädchen immer dem Mann "übergeben"
werden, also zur Familie des Mannes ziehen, sind es die Söhne, die
später für die alten Eltern sorgen. Dementsprechend ist der Wert
eines Sohnes natürlich größer. Wenn also Familien in große Armut
und Not geraten, sind es die Mädchen, die am Wenigsten bekommen,
auch Essen, sie werden oft früh, zu früh aus der Schule genommen,
müssen mithelfen, oft auch Geld verdienen, sind später dann vom
Ehemann völlig abhängig und ihm so natürlich auch absolut
ausgeliefert. Prügel und Misshandlungen ist so Tür und Tor geöffnet.
Es gibt aber noch einen Grund, warum wir deutlich mehr Mädchen haben. Die buddhistischen Klöster kümmern sich zuweilen um arme und verlassene Kinder, aber
eben immer nur um Jungs. Sie rekrutieren aus dieser Gruppe ja ihren Nachwuchs.
Was für uns aber die größte Sorge ist: Mädchen sind ab einem Alter
von etwa zwölf Jahren häufig sexuellen Nach-
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stellungen ausgesetzt. Die Mutter könnte nie zur
Arbeit gehen und die heranwachsende Tochter alleine in der Hütte lassen.
Kindesmissbrauch und Vergewaltigung sind hier leider keine Seltenheit.
Ich würde es also so formulieren: Wir haben in Little Smile mehr Mädchen,
weil die Not der Mädchen größer ist.
3) Sie kritisieren die schnelle, oft unüberlegte Hilfe
von einigen Hilfsorganisationen. War aber nach dem Tsunami nicht
auch Soforthilfe für die obdachlosen Menschen, die all ihr Hab und
Gut verloren hatten, gefragt? Hat da auch ein gewisser Druck seitens
der Spender bestanden, die Erfolge sehen wollten?
Wir reden hier nicht von der Soforthilfe. Gleich nach der Katastrophe musste natürlich
schnell etwas passieren, war die Lage unübersichtlich und die Not
riesig. Keine Organisation hatte Erfahrung mit einem Tsunami dieser
Größenordnung, ganz einfach, weil es vorher so eine Welle noch nicht
gegeben hat. Ein Tsunami ist kein Erdbeben und man muss ihm auch
in der Soforthilfe anders begegnen. Heute sind viele Organisationen
klüger, aber das half ja damals nichts. Was mich in den ersten Tagen
und Wochen gewundert hat, war, dass die alle nicht bei den Menschen
und Organisationen nachgefragt haben, die schon lange im Land waren
und die sich mit den Gegebenheiten auskannten. Wie auch immer, bei
der Soforthilfe geht immer was verloren, weil es eben schnell gehen
muss.
Was ich kritisiere, ist der oft blinde Aktionismus und die
Unseriostität, mit der um Spenden und Gelder gebuhlt wurde. Wenn
eine Organisation, die vorher nie mit Aufbauhilfe beschäftigt war,
plötzlich mit dem Programm der 1000 Boote und der 1000 Häuser für
je 1000 Euro wirbt, dann ist das schlicht und ergreifend eine Irreführung.
Für 1000 Euro kann hier niemand eine vernünftige Hütte bauen, die
auch noch nach ein paar Jahren steht. Eine andere Organisation hat
zwei Millionen
Kokosnusspalmen am zerstörten Strand gepflanzt, hat
sie umzäunt und gießen lassen. Das klingt ja ganz toll und lässt
sich sicher gut “verkaufen”, wer möchte nicht
mit seiner Palme am Tsunamistrand Aufbauhilfe leisten und das auch
noch mit einem ökologischem Touch. Nur, wenn Sie ein Jahr später
nachschauen, dann sind die meisten dieser Palmen verschwunden, die
waren zu nahe am Wasser gepflanzt worden oder standen Straßen oder
Bauprojekten im Weg. Die Liste der fragwürdigen Projekte ist lang,
ganze Dörfer, die ins Hinterland gesetzt wurden, stehen bereits
leer und verfallen. Die Ursache dafür liegt auch bei den Spendern.
Die haben einen ungeheuren Erwartungsdruck aufgebaut, hatten keine
Geduld, wollten sofort etwas sehen für ihr Geld. Aber ich kann Ihnen
versichern, nichts, wirklich nichts außer Geldausgeben geht leicht
und damit schnell in diesem Land.
4) Provokant gefragt, hatte der Tsunami nicht auch einen positiven Nebeneffekt, indem sich der Fokus
(und das Geld!) der übrigen Welt verstärkt auf Sri Lanka gelegt
hat? Haben Sie diese verstärkte Spendenfreudigkeit auch bei LITTLE
SMILE gemerkt?
Das ist genau das Phänomen mit den zwei Seiten ein
und derselben Medaille. Es kamen nach der Katastrophe sehr
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