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Gesellschaft & Medien 3/10
Februar 2006
Little Smile
viele Hilfsgelder ins Land, die  Preise und  die  Ansprüche sind gestiegen. Man konnte also mit 1000 Euro nicht mehr das bewirken, was man damit vor dem Tsunami schaffen konnte. Gleichzeitig hat man mehr Geld bekommen. Das Problem, nicht nur für uns, sondern für alle Organisationen, die schon vor dem Tsunami in diesem Land gearbeitet haben, war, dass die Bereitschaft der Opfer, sich für ihre eigene Zukunft zu engagieren, kaum noch vorhanden war. Es hat ja die ersten Monate genügt, sich mit ein paar Tränen auf die Trümmer am Strand zu setzen. Meist hat es nicht lange gedauert und jemand mit Hilfsgeldern kam vorbei. So sind viele Abhängigkeiten und neue Almosenempfänger, um nicht zu sagen Bettler, entstanden. Mit der so viel zitierten und langfristig auch einzig sinnvollen Hilfe zur Selbsthilfe hat das nun wirklich nichts zu tun.
5) Wo sehen Sie den Grund für diese enorme Spendenfreudigkeit? Sind die Menschen eher betroffen und helfen, wenn eine Naturkatastrophe auf einmal Tausende unschuldige Opfer fordert, als wenn Menschen wie in Afrika unspektakulär "still" vor sich hin sterben? Und hat auch der Zeitpunkt, Weihnachtszeit, sein Übriges getan?
Da gab es eine Reihe von Gründen. Wäre die Riesenwelle beispielsweise in der Nacht gekommen, hätte es keinerlei Videoaufnahmen und Fotos gegeben. So aber konnten wir am TV hautnah und in der ersten, aber doch sicheren Reihe miterleben, wie sich ein Urlaubsparadies in Sekundenschnelle in ein Inferno verwandelte, wie Menschen, gerade noch in die Kamera lächelten, um einen Moment später ums nackte Überleben zu kämpfen. So etwas geht unter die Haut, schafft Betroffenheit und Mitgefühl. Eine Rolle gespielt hat ganz sicher auch, dass von der Katastrophe mit Thailand und Sri Lanka auch beliebte Urlaubsparadiese betroffen waren. Viele von uns waren  ja  schon  in  diesen  Ländern, vielleicht  gerade  an den Stränden, kannten einen Verkäufer, Fremdenführer, Fahrer. So etwas schafft Solidarität. Ich wage zu behaupten, dass es niemals diese Hilfsbereitschaft gegeben hätte, wären unbekannte Küstenstreifen irgendwo in Afrika betroffen gewesen. Ganz sicher von Bedeutung war auch noch, dass es zur Hauptferienzeit passiert ist, dass fast jedes Land seine Opfer zu beklagen hatte und das ganze dann auch noch am 2. Weihnachtstag.
Aber Sie haben auch recht, diese Naturkatastrophe, die uns fast schon an eine apokalyptische Strafe erinnert, hat unter uns Menschen, ja sogar unter fast allen Nationen ein Wir-Gefühl ausgelöst, das in der Geschichte der Menschheit wohl einmalig ist. Bei aller begründeten Kritik, die es im Zusammenhang mit der Tsunamihilfe gibt, das ist etwas Großartiges und macht Hoffnung.
6) Wie würde Ihrer Ansicht nach die perfekte Entwicklungshilfe aussehen? In all den Jahren sind Unmengen an Geldmittel von UNO, Weltbank, NGOs, etc. in die Entwicklungsländer geflossen, eine signifikante
Verbesserung deren Lage ist aber nicht zu sehen. Was läuft da falsch?
Alle Verallgemeinerungen und Verkürzungen werden der Bedeutung dieser Frage nicht gerecht. Ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit hier einige der Hauptgründe, so wie ich es sehe:
Hinter staatlicher Entwicklungshilfe stehen fast immer handfeste wirtschaftliche Interessen der Geberländer und Institutionen. Die Weltbank gibt kein Geld, weil sie für sich selbst plötzlich ein positives Wertesystem jenseits des eigenen Credos entdeckt hat: Jede Bank ist einzig und alleine eine Anstalt zur Vermehrung von Kapital. Wenn, quasi aus Versehen, damit auch mal was Gutes bewirkt wird, nimmt man das gerne und öffentlichkeitswirksam in Kauf, das Ziel ist ein anderes. Ähnlich verhält es sich mit staatlicher Entwicklungshilfe. Wir züchten uns doch nicht unsere eigene Konkurrenz, höchstens wollen wir neue Absatzmärkte für unsere Produkte erschließen. Wenn beispielsweise ungeheure Summen zum Kauf von Getreide aufgewendet werden, angeblich um den Hunger in der Welt zu bekämpfen, so werden dadurch letztlich nur die Getreideerzeuger in den Geberländern, die Transportunternehmer und Zwischenhändler sowie Spekulanten an der Börse reicher. Die Farmer in den armen Ländern, wo das Getreide hinfließt, können ihre Produkte nicht absetzen, mehr Menschen verarmen und werden von Hilfslieferungen abhängig. Dazu kommt, dass Eßgewohnheiten verändert werden, indem Länder, wo Menschen bisher ausschließlich Mais oder Reis gegessen haben, auf Getreideprodukte zurückgreifen, weil die durch die Spenden billiger sind. Oft vertragen die Menschen das Getreide gar nicht, neue Volkskrankheiten entstehen.
Viele der offiziellen Helfer sind zwar Profis in einem bestimmten Gebiet, meist verbinden sie aber kein großes persönliches Interesse mit dem Land, in dem sie arbeiten. Nicht selten wird der “Job” als Zwischenstation auf der Karriereleiter verstanden. Wenn aber dann wirkliches persönliches Engagement vorhanden ist, kann  es  durchaus  vorkommen, dass  diejenige Person, gerade wenn sie sich richtig eingearbeitet hat, in ein anderes Land versetzt wird.
Ich glaube, am meisten erreicht wird von Organisationen, die sich auf ein bestimmtes Land oder zumindest auf einen Kulturkreis spezialisieren. Ich denke “Menschen für Menschen”, die Organisation die Karl-Heinz Boehm gegründet hat, ist so effektiv, weil es sich auf ein Gebiet in Afrika konzentriert hat. Wirklich sinnvolle Entwicklungshilfe muss immer als Ziel haben sich überflüssig zu machen. Glauben Sie wirklich ein Funktionär beispielsweise der UN hat ein Interesse daran, sich überflüssig zu machen und so sein oft durchaus gut bezahltes und angenehmes Leben in einem Billigland aufzugeben? Ich bin davon überzeugt, dass es in jedem Land genügend positive Kräfte gibt, damit dieses Land sich entwickeln kann. Entwicklungshilfe, das sagt ja schon der Name, soll dazu nur Hilfestellung geben und nicht ständig unter dem Deckmantel der Hilfe neue Abhängigkeiten schaffen und ganz anderen Interessen dienen.
 
Online-Magazin Im Endeffekt Ausgabe 9 · © 2003 - 2006 danielwelt.de · Impressum · Printausgabe